Computergestützte Messung von Flüssigkeitsdichten
mit einem neuen Biegeschwinger-Protopyp
in einem weiten Temperatur- und Druckbereich

von E. Christian Ihmels
Universität Oldenburg - Technische Chemie - Prof. Dr. J. Gmehling

Skript nach der Veröffentlichung:
E. C. Ihmels, C. Fiege, J. Rarey, J. Gmehling, Chemie Ingenieur Technik 71 (1999) 6. S. 605-609

 

1. Einleitung

Einer genauen Kenntnis des PvT-Verhaltens von Reinstoffen und Gemischen kommt in vielen Bereichen der Forschung und Entwicklung sowie der industriellen Praxis eine große Bedeutung zu. Wichtig sind Flüssigkeits- und Gasdichten vor allem bei der Auslegung von Anlagen in der Industrie. Genaue Kenntnisse über temperatur- und druckabhängige Dichten spielen eine wichtige Rolle bei der Dimensionierung von Förderanlagen und Apparaten. Darüber hinaus sind zuverlässige Dichten eine wichtige Grundlage bei der Verbesserung von Korrelationsgleichungen und der Weiterentwicklung von Zustandsgleichungen. Über Zustandsgleichungen wiederum lassen sich Dampf-Flüssig-Gleichgewichte und bei Kenntnis der Wärmekapazität im idealen Gaszustand andere thermodynamische Stoffgrößen wie Enthalpie, Entropie, Wärmekapazitäten und Verdampfungsenthalpien berechnen. Diese Daten sind für die computergestützte Auslegung und Optimierung technischer Verfahren durch Lösung der Material- und Enthalpiebilanzen erforderlich.

Im Rahmen eines vom BMBF unterstützten Projekts wurde 1991 mit dem Aufbau einer Datenbank für Reinstoffdaten begonnen. Diese Datenbank stellt eine Erweiterung der seit 25 Jahren bestehenden Dortmunder Datenbank (DDB) für Phasengleichgewichte und Exzeßgrößen dar. Die Reinstoffdatenbank soll vor allem zur Ermittlung empfohlener Daten, zur Anpassung empfohlener Korrelationsparameter und zur Entwicklung verbesserter Vorausberechnungsmethoden eingesetzt werden. Eine grundlegende Voraussetzung für diese Anwendungen ist neben der Überprüfung der gespeicherten Daten das Schließen von Datenlücken durch eigene Messungen.

Zu diesem Zweck werden in der Arbeitsgruppe Meßtechniken entwickelt und aufgebaut, die neben Phasengleichgewichten und Exzeßgrößen eine zuverlässige experimentelle Bestimmung physikalisch-chemischer Reinstoffdaten (z.B. Wärmekapazität, Dampfdruck, Viskosität, Dichte, ...) erlauben.

Zur Bestimmung von Flüssigkeitsdichten wurde in dieser Arbeit das seit nunmehr 30 Jahren bekannte und bewährte Biegeschwinger-Meßverfahren [1] eingesetzt. Dieses Verfahren wird sowohl in Forschung und Entwicklung als auch für industrielle Routineuntersuchungen sehr häufig angewendet. Die Besonderheit der hier verwendeten Dichtemeßzelle im Vergleich zu bisher erhältlichen kommerziellen Geräten ist die Anwendbarkeit im Bereich hoher Drücke und Temperaturen. Der vom Labor für Meßtechnik Stabinger (Graz) zur Verfügung gestellte Biegeschwinger (DMA-HDT) ist für Temperaturen bis 623 K und Drücke bis 600 bar ausgelegt. Durch die Computersteuerung der entwickelten Dichtemeßanlage kann in relativ kurzer Zeit in einem Temperatur-Druck-Programm eine große Zahl an zuverlässigen Meßpunkten bestimmt werden.

 

2. Beschreibung der Apparatur

Abbildung 1 gibt den schematischen Aufbau der entwickelten Dichtemeßanlage wieder. Kernstück der computergesteuerten Anlage ist der erwähnte Prototyp einer Dichtemeßzelle für hohe Drücke und hohe Temperaturen (DMA-HDT). Das DMA-HDT–System besteht aus der eigentlichen Meßzelle und einem modifizierten DMA 5000-Steuerungsrechner. Die Meßzelle enthält den Meßschwinger, Sensor- und Erregerspulen, einen Thermostaten mit Kühlkreislauf (z.B. für Luft- oder Wasserkühlung) und zwei Temperaturfühler (Meß- und Regeltemperatur). Die Periodenmessung und Temperaturregelung erfolgt über den DMA-Steuerungsrechner. Diese Steuerungseinheit ist über eine serielle Schnittstelle (RS232) an einen PC angeschlossen. Der Steuerungseinheit kann vom PC eine Solltemperatur übergeben und im Sekundentakt die aktuelle Meß- und Regeltemperatur sowie die Periodendauer abgefragt werden.

 

Abb. 1 Schematische Darstellung der computergesteuerten Dichtemeßanlage

 

Für den Druckaufbau ist der Biegeschwinger mit einer variablen Volumenzelle (Ruska-Dosierpumpe Typ 2200-802) verbunden, deren Kolben mit Hilfe eines rechnergesteuerten Schrittmotors bewegt wird.
Die Druckmessung erfolgt mit Hilfe eines Drucksensors (Druck, Model PDCR 911). Zur Meßsignalumwandlung wird ein Multimeter (Keithley, Model 2000) mit serieller Schnittstelle eingesetzt.
Mit Hilfe zweier Dreiwegeventile kann die Dosierpumpe vom Biegeschwinger getrennt werden. Dadurch sind Messungen bei Normaldruck mit geringerer Substanzmenge möglich.

 

2.1. Meßbereiche, Meßgenauigkeiten und Kalibrierung

Aufgrund der von uns verwendeten Ventile und Verbindungen wurde der Druckbereich für die Erprobungsphase der Anlage auf zunächst 100 bar und der Temperaturbereich auf 523 K limitiert.

Die eingebauten Pt100 – Temperaturfühler besitzen eine Auflösung von ± 3 mK und eine Genauigkeit von ± 30 mK. Der Thermostat erreicht eine Stabilität von ± 20 mK. Die Periodendauer wird mit einer Auflösung von 1 ns bestimmt und liegt je nach Dichte, Temperatur und Druck im Bereich von 2400 bis 2600 µs.

Die Reproduzierbarkeit der Dichtemessungen bei Normaldruck und Temperaturen bis ca. 373 K liegt bei ± 5× 10-5 g/cm³. Bei höheren Drücken und Temperaturen kann aufgrund von Hystereseeffekten (beim Biegeschwingermaterial) eine Reproduzierbarkeit von etwa ± 1× 10-4 g/cm³ erreicht werden.

Der verwendete Drucksensor ist für Drücke bis 200 bar ausgelegt. Der Gesamtfehler der Druckmessung ist kleiner als ± 0.02 bar.

Die Genauigkeit der Dichtemessung hängt neben der Genauigkeit von Druck, Temperatur und Periodendauer auch von der Reinheit der Kalibriersubstanzen und den Referenzwerten ab.

Als Referenzsubstanzen wurden Wasser und Butan über den gesamten Temperatur- und Druckbereich vermessen, zusätzlich wurde das Vakuumsignal (Dichte = 0 g/cm³) im ganzen Temperaturbereich aufgenommen. An die Kalibrierungsmeßpunkte (Temperatur, Druck und Periodendauer) wurden unter Verwendung der Referenzdichten aus Zustandsgleichungen [2, 3] bzw. der Dichte null (bei Vakuum) die Parameter einer 14-parametrigen Kalibrierungsgleichung (1) angepaßt. Mit Hilfe dieser Gleichung wurde anschließend bei den Messungen die Dichte aus der Periodendauer sowie Temperatur und Druck berechnet.

(1)

mit

und

mit i = 1, 2, 3 und j = 1, 2

Bei den Messungen hat sich ein abgeschätzter Gesamtfehler in der Dichtemessung von ±0.0002 g/cm³ ergeben. Dies entspricht bei den vermessenen Flüssigkeitsdichten zwischen etwa 0.4 und 1 g/cm³ einem relativen Fehler zwischen etwa 0.05 und 0.02 %.

2.2. Das Steuerungsprogramm

Die Steuerung der oben beschriebenen Anlage (ohne Ventile und Vakuumpumpe) erfolgt vollständig über das speziell entwickelte Steuerungsprogramm "Densitas per Motum – Density Measurement". Das Programm ermöglicht die Durchführung von automatischen Temperatur-Druck-Meßprogrammen. Das Hauptfenster des Programmes, in dem alle aktuellen Systemwerte sowie das Meßprogramm angezeigt werden, ist in Abbildung 2 dargestellt.

 

Abb. 2 Hauptfenster vom Steuerungsprogramm der Dichtemeßanlage

Die aktuelle Version des Programms ist für Messungen von Reinstoffdichten ausgelegt. Das Progamm verfügt über einen integrierten Zugriff auf die DDB-Reinstoffdatenbank. Über die Antoine-Konstanten aus der Dortmunder Datenbank können Temperatur-Druck-Programme mit Minimaldrücken leicht oberhalb des Sättigungsdampfdrucks (dynamisches Meßprogramm) realisiert werden.

Außerdem werden vor dem Start die Meßbedingungen mit den Stoffgrundgrößen (Schmelzpunkt, Normalsiedepunkt, kritische Größen...) verglichen und mögliche Probleme (z.B. Endtemperatur über der Siedetemperatur bei Atmosphären-druckmessungen) angezeigt. Während des Ablaufs des Meßprogramms werden alle Meßdaten (optional) in einer MS-Access Datenbank und/oder einer Textdatei (Excel CSV-Format) gespeichert.

 

2.3. Ablauf der Messungen

Für die Atmosphärendruckmessungen werden ca. 20 cm³ und für Hochdruckmessungen 75 bis 100 cm³ gereinigte und entgaste Meßflüssigkeit benötigt. Es werden Temperaturprogramme von der Minimaltemperatur bis zur Maximaltemperatur mit dem eingestellten Intervall durchgeführt. Bei der jeweiligen Temperatur wird das definierte Druckprogramm ausgeführt. Das Steuerungsprogramm setzt die Solltemperaturen, fährt die Solldrücke an und wartet bis zum Erreichen einer vorgegebenen zeitlichen Konstanz der Sollbedingungen. Nach dem Aufnehmen und Abspeichern der Meßwerte mit der definierten Anzahl an Wiederholungen wird der nächste Meßpunkt angefahren. Ist der Maximaldruck erreicht, wird der Druck anschließend zurückgefahren und die nächst höhere Solltemperatur gesetzt.
Nach der letzten programmierten Messung wird die Temperatur automatisch auf die Minimaltemperatur zurückgefahren und der Druck auf den Minimaldruck zurückgeregelt. Ein Temperatur-Druck-Programm zwischen 298 und 478 K sowie Drücken bis 100 bar mit rund 400 Meßpunkten wird beispielsweise in etwa fünf Tagen aufgenommen. Eine Normaldruckmessung in einem Temperaturbereich von 308 bis 498 K mit etwa 40 Meßpunkten kann innerhalb von zwei Tagen realisiert werden.

 

3. Ergebnisse

Mit der Anlage wurden sowohl Messungen in Temperaturprogrammen bei Normaldruck als auch Temperatur-Druck-Programme durchgeführt. Im folgenden seien exemplarisch einige Meßergebnisse dargestellt. Abbildung 4 zeigt die Ergebnisse der Dichtemessung von 1-Dodecanol bei Normaldruck bis 498 K. Die sehr gute Übereinstimmung mit publizierten Daten anderer Autoren (Ausnahme: Naziev et al.) wird aus Abbildung 5 deutlich.

 

Abb. 4 Dichten von 1-Dodecanol bei Atmosphärendruck

 

Abb. 5 Abweichung der Dichten D r = r exp - r ref zur Referenzgleichung für
1-Dodecanol von Daubert und Danner [4]

 

Hier werden die Abweichungen (D r = r exp - r ref) der experimentellen Werte bzw. der publizierten Daten zur DIPPR-Korrelation dargestellt. Die Korrelation weist oberhalb von 440 K deutliche Abweichungen zu den experimentellen Werten auf. Die Parameter dieser Korrelation wurden allerdings nur an Meßwerte bis etwa 400 K und an die kritische Dichte angepaßt. In Abbildung 6 sind als Beispiel für eine Hochdruckdichtemessung die Resultate für Methanol bei Drücken bis 100 bar zusammen mit den Referenzwerten von Goodwin [9] dargestellt.

 

Abb. 6 Vergleich der gemessenen Dichten von Methanol im Temperaturbereich zwischen 298 K und 478 K und Druckbereich zwischen Reinstoffdampfdruck und 100 bar mit Referenzwerten von Goodwin [9]

Bis 428 K liegen die relativen Abweichungen zu den Referenzwerten unter 0,05 %. Bei höheren Temperaturen liegen die von uns gemessenen Dichten bis zu 1 % unter den Referenzwerten von Goodwin. Hier treten wahrscheinlich aufgrund des großen Dichteunterschiedes der Flüssigkeit (in diesem Fall Methanol) im Biegeschwinger und den Zuleitungen von über 0,2 g/cm³ Konvektionseffekte innerhalb der Anlage auf, die die Dichtemessung beeinflussen. Dieser Effekt soll bei der Weiterentwicklung der Anlage durch eine automatisierte Temperierung der Biegeschwingerzuleitungen eliminiert werden. Erste Tests haben schon einen positiven Effekt gezeigt, so daß in Zukunft mit der Anlage ein größerer Temperatur- und Druckbereich sicher abgedeckt werden kann.

4. Zusammenfassung und Ausblick

Unter Verwendung eines Hochtemperatur-Hochdruck-Biegeschwinger Prototyps wurde eine computergesteuerte Dichtemeßapparatur entwickelt. Mit dieser Anlage können zur Zeit Flüssigkeitsdichten bei Temperaturen bis 523 K und Drücken bis 100 bar gemessen werden. Das gewählte Temperatur-Druck-Programm wird dabei vollautomatisch abgearbeitet. In Bezug auf Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit bzw. Zeitaufwand stellt dieses System ein Optimum für die Ermittlung forschungs- und industrierelevanter Daten dar. Über den Zugriff auf die DDB-Reinstoffdatenbank ist die Anlage speziell für die Vermessung von Reinstoffen ausgelegt, kann jedoch jederzeit auch zur Bestimmung von Flüssigkeitsdichten von Gemischen und Exzeßvolumina eingesetzt werden. Zur Zeit wird die Anlage modifiziert, um Messungen bis 600 bar und 623 K zu ermöglichen. Des weiteren sollen auch Messungen an komprimierten Gasen erfolgen.

Die Autoren danken dem Labor für Meßtechnik Dr. Hans Stabinger für den freundlicherweise zur Verfügung gestellten DMA-HDT-Prototyp.

 

Formelzeichen

Symbol Einheit Bezeichnung

A, B    -          Parameter der Biegeschwingergrundgleichung

c...f     -          Parameter der erweiterten Biegeschwingergleichung

P        bar       Gesamtdruck (1 bar = 100 kPa)

T        K          absolute Temperatur

r       g/cm³      Dichte

t         µs           Periodendauer des Biegeschwingers

 

Literatur

  1. Kratky, O., Leopold, H., Stabinger, H., Z. Angew. Phys., 27 (1969), 273-277
  2. Pruss, A., Wagner W., The 1995 IAPWS - Formulation for the Thermodynamic Properties of Ordinary Water Substance for General and Scientific Use., Persönliche Mitteilungen als Windows-Dynamic Link Library, Bochum 1997
  3. Younglove, B.A., Ely, J.F., J. Phys. Chem. Ref. Data, 16 (1987), 4, 577-798
  4. Daubert, T.E., Danner, R.R., Physical and Thermodynamic Properties of Pure Chemicals, Tailor & Francis, Washington D.C. - Bristol - London 1995.
  5. Garg, S.K., Banipal, T.S., Ahluwalia. J.C., J. Chem. Eng. Data, 38 (1993), 2, 227-230
  6. Naziev, Ya.M., Shakhverdiev, A.N., Akhundov, T.S., Izv. Vyssh. Uchebn. Zaved. Neft Gaz 1 (1990), 12, 69-72
  7. Matsuo, S., Makita, T., Int. J. Thermophys. 10 (1989), 4, 885-897
  8. Hales, J.L., Ellender, J.H., J. Chem. Thermodyn. 8 (1976), 1177-1184
  9. Goodwin, R.D., J. Phys. Chem. Ref. Data, 16 (1987), 4, 799-856